Edit: Diese Charakterstudie und der studierte Charakter sind so derart komplex, dass es für mich schwer ist in einer geordneten Art und Weise meine Gedanken darüber zu sammeln und auszudrücken. Ich werde den folgenden Text immer mal wieder überarbeiten, bis ich hoffentlich bei einer einigermaßen klaren Struktur angekommen sein werde.
Vorwort
Dass der folgende Text
Spoiler enthält, könnt ihr euch sicherlich selbst denken. Daher bitte nur lesen, nachdem ihr den Film Joker gesehen habt. Falls ihr dies noch nicht getan habt, ändert dies schnellstmöglich; denn was auch immer man selbst von dem Film halten möge, ob man ihn liebt oder hasst, feiert oder abstoßend findet - jeder sollte ihn meiner Meinung nach gesehen haben. Er ist ein Meilenstein einer dramaturgischen Charakterstudie, ein Meilenstein der aktuellen und modernen Kultur und Gesellschaft á la “gute alte Schule” und einfach nur Kunst in ihrer offensten und auch provokativsten Form, in dem Sinne, dass sie einen selbst dazu anregt, gewollt oder nicht, zu reflektieren.
Ebenfalls muss ich nicht erwähnen, dass der folgende (zugegeben etwas chaotischer bzw. ungeordneter) Text meine ganz persönliche Sichtweisen beinhält und ich von niemandem erwarte, damit übereinzustimmen.
Vorweg möchte ich nicht nur die Kinematographie dieses Meisterwerks lobend erwähnen, von Kamera über Schnitt zu Farbgebung, oder die absolut umwerfende schauspielerische Leistung von Joaquin Phoenix, sondern auch den Soundtrack. Die gewählten Instrumente (wie z.B. das Cello) und Tonlagen untermalen das Gezeigte und Gefühlte auf eine großartige Weise, die mir im Kino fast das Herz im Brustkorb zerrissen hat (und dies meine ich durchaus positiv). Auch die gekonnte nahezu kakophonische Verwendung von Melodien inklusive metallisch und industriell klingender Geräusche betont die Leere, Kälte, Oppression, Pein, Peinigung, Tragödie und Ironie des Lebens des Arthur auf eine meisterhafte und kunstvolle Weise. Ich bin noch nie mit einem solch rundum glücklichen und wohligen Gefühl der Befriedigung und Zufriedenheit aus einem Kinofilm gegangen, auch Dank der Musik. Ich werde mir den Film sowie den Soundtrack in der bestmöglichen Fassung bzw. Version zulegen, so viel ist sicher. Dieser Film ist ein Geschenk, und dafür bin ich einfach nur dankbar. … Ich schweife ab.
Hier möchte ich auch gar nicht darüber debattieren, welche der möglichen Interpretationen des Endes oder gar des ganzen Films nun richtig sein könnte. Ich habe mir diverse Theorien dazu durchgelesen und kann nur sagen; alle davon sind plausibel - aber welche letzten Endes “richtig” ist, spielt keine Rolle (mal davon ab, dass jede Interpretation höchstwahrscheinlich eh höchst subjektiv und damit sowieso für den Einzelnen die einzig richtige ist). Es ist schlichtweg egal, denn ob dies alles sich nur in seinem Kopf abspielte, eine Art Tagtraum war, oder ob er sich nur zurückerinnerte, usw. … es hat keinerlei Auswirkung auf die Geschichte selbst und die Wirkung derselben auf den Zuschauer, denn die werden dadurch nicht zunichte oder ungültig gemacht.
Bei diesem Film geht es mir persönlich nicht nur um das Gefühl des Verstandenwerdens oder der Selbstbefreiung aus Apathie, Peinigung und Tragödie durch jemand anderen, oder der Zelebrierung der Selbsterkennung und Selbstakzeptanz oder gar um den durchaus fragwürdigen Gebrauch von Selbstjustiz.
Kurzum: Ich bin hin und weg von dem Film. Ich liebe ihn. Ich feiere ihn. Sollte ich mir deswegen Sorgen machen? Möglich. Werde ich deswegen selbst zum Joker? Natürlich nicht. (Wiederum… mal unter uns, wenn wir ganz ehrlich mit uns selbst sind... sind wir nicht alle ein kleines bisschen Joker? Wenn auch nur manchmal? Oder nur zu einem winzigen Bruchteil?)
Aber es ist schön, Arthur Fleck auf seinem Weg zu Joker begleitet haben zu dürfen, mit ihm mitgefühlt und mitgelitten zu haben, mit ihm mit gefeiert zu haben, ihn gefeiert zu haben (als er zum ersten Mal als voll entwickelter Joker in den Fahrstuhl stieg, sich umdrehte, sein Blick in Gedanken verloren in der Leere zu hängen schien und er einen Mundwinkel nach oben zog ist mir fast das Höschen vor lauter aufrichtigem Glück und Freude für ihn weggeflogen) und ja, auch mit ihm zusammen genossen zu haben, dass er sich via blutiger konsequenter Vernichtung negativer Menschen um sich herum selbst befreit hat. Dafür sind Filme doch auch da, oder? Uns Ottonormalmenschen das zu zeigen und uns als Ventil darzubieten, was im wahren Leben eben Tabu ist. Es ist und bleibt nur ein Film, also bleibt auf dem Boden.
*räusper*
Gehen wir etwas geordneter vor.
Die Metamorphose
Alles in und an Arthur befindet sich im Prozess einer Metamorphose. Metamorphose bedeutet hierbei nicht, dass Zustand A ohne offensichtliche Verbindung oder Korrelation zu Zustand Z wird; so wie bei der Raupe von Anfang an der Bauplan für seine finale Form als Schmetterling existent ist, so ist der Joker bereits seit Anfang in Arthur verborgen. Die Metamorphose beschränkt sich dabei auf den Prozess des Erkennens dieser Tatsache, des Sichzueigenmachens dieser bis zum Erreichen der finalen Form.
Das Lachen ist definitiv das prägnanteste offenkundige Merkmal an Arthur. Zuerst wird es klar als unkontrollierbare, fehlgesteuerte emotionale Reaktion dargestellt (Affektinkontinenz; anstatt zu weinen oder zu schreien, lacht er), die andere nur noch mehr dazu verleitet Arthur mit einer hochgezogenen Augenbraue abschätzig zu beäugen. Es ist ein qualvolles Lachen, dass er zu unterdrücken versucht, es aber nicht unterdrücken kann. Es ist sowie für Arthur als auch für den Zuschauer schmerzhaft, erinnert stellenweise an ein Ersticken. Man empfindet beklommenes und beklemmendes Mitleid, würde ihm am liebsten irgendwie helfen, ihn trösten, muss aber untätig beistehen. Gleichsam applaudiert man ihm dafür, dass er trotz dessen z.B. seinen Comedy-Auftritt durchzieht.
Arthur ist eigentlich ein netter, liebevoller, selbstloser Kerl, der die Bedürfnisse und das Glück anderer über seine eigenen stellt. Er kümmert sich aufopfernd um seine Mutter, will andere zum Lachen bringen, ihnen etwas den Tag und das Leben versüßen. Als Berufsclown schafft er das auch zum Teil, er macht seinen Job gut, aber er fühlt sich dazu berufen einen Schritt weiter zu gehen und Comedian zu werden. Seine Absichten und Ziele sind pur, gutherzig.
Natürlich will er dadurch auch erreichen, dass seine eigenen Sehnsüchte nach Anerkennung, Akzeptanz, Zuspruch etc. erfüllt werden. Jeder vermeintlich selbstlose Akt unsererseits ist letztlich eigennützig orientiert. Das ist einfach Fakt, meiner Meinung nach. Nichts verwerfliches daran, aber machen wir uns nichts vor.
Doch ist da alles weiterhin existent, tief in seinem Inneren verborgen, was er unterdrückt, verdrängt, von sich schiebt und was diesen verzweifelten Versuch nach dem Erlangen dieses Guten in seinem Leben trübt, beschmutzt, verhindert, erstickt. Die verdrängten Traumata, das erneute und wiederholte Einstecken von immer wieder auftretenden Demütigungen, Verletzungen, Ablehnungen, Ausbeutungen von außen, durch andere, selbst durch vermeintlich gutherzige, ihm nahe stehenden Menschen. Peinigende Wahrheiten und die schmerzvolle Erkenntnis selbiger.
Was als pathologisches Lachen beschrieben wird, einer in der Neurologie begründeten physischen Störung, ist meiner Einschätzung nach bereits in Arthurs Kindheit ein Schutzmechanismus gewesen, mit dem er versucht hat alles Unerträgliche wegzulachen. Alles, was er nicht ertragen konnte, versuchte er dadurch an Intensität zu dämpfen, erträglicher zu machen, den Schmerz zu lindern, andere zu beschwichtigen, sie davon abzubringen ihn weiter zu verletzen. Es ist erlerntes Verhalten, wie so vieles in Arthurs Repertoire und hat ihn von Kindesbeinen an maßgeblich geprägt, wurde untrennbar mit seiner Persönlichkeit verwoben. Er sagt selbst, dass er erkannt hat, dass es sein wahres Ich ist und immer war. Dies gilt nicht nur für sein Lachen, sondern auch für Joker selbst. Joker war immer da, immer in ihm verborgen. Diese Erkenntnis erlaubt es ihm, sich vollkommen dieser Identität hinzugeben, darin aufzugehen, sich dadurch zu befreien. Sich selbst kompromisslos anzunehmen und zu akzeptieren, mit allen Teilen seines Selbst, allem, was er erlebt hat mitsamt allen Auswirkungen und Konsequenzen.
Sein Lachen, wie er selbst, verändert sich aber über den Film hinweg, untersteht ebenfalls einer Metarmorphose. Es ist meiner Meinung nach keine pathologische neuronale Störung sondern ein Selbstschutz- und Verarbeitungsmechanismus, aber auch Mittel zur Manipulation bzw. zum Erreichen sozialer Akzeptanz bzw. Einfügung - anfangs unbewusst, später immer bewusster und zielgerichteter.
Zum Beispiel lacht er übertrieben und aufgelegt über den bissigen Witz eines Arbeitskollegen - und kaum ist er außer Hörweite für die Kollegen getreten, verstummt sein Lachen mit einem Schlag. Als Randall und Gary ihn besuchen, lacht er über den überheblichen Kommentar Randalls, um ihn zu mildern und sozial konform zu reagieren. Auch als er andere Stand-Up-Comedians regelrecht studiert, mimt er das Verhalten, in dem Fall das Lachen, anderer Zuschauer. Er ist innerlich so leer, so anders, so abgeschottet und entartet, dass er selbst nicht beurteilen kann, wann es allgemeingültig richtig wäre zu lachen, also orientiert er sich an den Reaktionen, konkret dem Lachen, der anderen Besucher der Show (natürlich zeitlich verzögert, weil er erst den Witz und die Reaktionen gedanklich verstehen und entsprechend verarbeiten muss). Er lernt sich wie jemand “normales” zu verhalten und sein Lachen ist deutlich unecht, gespielt, künstlich, kopiert.
Relativ früh im Film sehen wir aber auch ein erstes ehrliches Lächeln von Arthur, das sich komplett anders darstellt. Zum Beispiel als er die Frau im Taxi mit Clownsmaske sieht, breitet sich über seinem Gesicht ein derart offenes, herzliches und ehrliches, fast schon kindliches Lächeln puren Staunens und der Freude aus, das einem das Herz wärmt. Er freut sich zu sehen, dass andere Menschen endlich seine Existenz bemerken und er eine Wirkung auf andere hat, ob sie es wissen oder nicht.
Generell ist sein Humor nicht alltäglich oder massenkonform. Ein Großteil davon ist ebenfalls erlernt, kopiert. Er hegt den Traum als Stand-Up-Comedian gesehen und akzeptiert zu werden, kommerzieller Erfolg spielt dabei überhaupt keine Rolle. Ihm geht es nicht um Geld oder dergleichen, ihm geht es um Validation, Gesehenwerden, Wahrgenommenwerden, einen positiven Einfluss auf andere zu haben, indem er sie zum Lachen bringt. Doch seine Witze kommen bei seinem Publikum nicht so gut an wie bei ihm selbst, was daran liegen kann, dass er zum Teil nur Witze schreibt mit dem Ziel, den Geschmack und Humor anderer, zu dem er selbst aber keinen eigenen Bezug hat, zu treffen und zu bedienen.
Die Witze, die er vorrangig für sich selbst schreibt, sind per se nicht das, was man gemeinhin als Witz definieren würde; aber im Rahmen der makaberen Ironie seines Lebens erscheinen sie für ihn in einem unweigerlich bitterbösen witzigen Licht. Lachen, um nicht weinen zu müssen. Galgenhumor. Dunkel, düster, verquer. Nachvollziehbar? Für mich absolut. Für die breite Masse? Vermutlich weniger?!
Sie sind auch vor allem Verarbeitungsmechanismus bzw. ein Mechanismus, der bewirken soll, dass das täglich erfahrene Leid gemildert wird, sein innerer Schmerz gedämpft wird. Wir sehen ihm dabei zu, wie er einen dieser Witze verfasst; "The worst part about having a mental illness is... people expect you to behave as if you d☺n't". Auf der gleichen Seite sehen wir noch drei andere Witze, wir können aber nur erkennen, dass einer davon sich um Insomnie dreht, ein zweiter um Armut. Sein Humor wie sein Lachen sind Arthurs verzweifelter Versuch das Unerträgliche etwas erträglicher zu machen, das kreischende Dröhnen der Negativität verstummen zu lassen.
Auch z.B. sein Witz über seine Schulzeit spricht meiner Annahme nach Bände. Er sagt, er habe die Schule gehasst als Kind - wahrscheinlich, weil er während seiner Schulzeit Ziel von Spott, Ausgrenzung, Mobbing und körperlicher Gewalt war, aufgrund seines Lachens und seiner offenkundigen innerlichen wie äußerlichen Abschottung. Die beiden gezeigten Vorfälle, bei denen Arthur Ziel von Gewalt wird, sind also garantiert nicht die ersten oder einzigen, die er neben des Missbrauchs im Zuhause seiner Kindheit oder als Erwachsener erfahren musste.
Wie wir muss auch vor allem Arthur feststellen, dass er mit seiner Art Humor alleine zu sein scheint; die Geste mit der imaginären Knarre an der eigenen Schläfe, deren Abzug er betätigt, empfindet nur er als positiven Galgenhumor, bei seinen Mitmenschen kommt diese Geste nicht gut an, wie bei der gezeigten bitteren Realisation darüber, dass alles, was vermeintlich zwischen ihm und seiner Nachbarin Sophie passiert ist, nur sein reines Wunschdenken und ein Auswuchs seiner lebhaften Imagination war. Die einzigen Momente der Wärme, Nähe, des Trosts und Verständnisses erfährt Arthur ausschließlich in seiner Fantasie, in Momenten der Flucht vor der Realität. Arthur ist allein, emotional wie zwischenmenschlich, war immer allein - und diese Erkenntnis gibt ihm letztlich den Rest.
Der zuvor gezeigte Verrat an ihm durch die von ihm erwählten Vaterfiguren Murray Franklin und Thomas Wayne stellen einen weiteren wichtigen Punkt in seiner Entwicklung dar, sie treiben Arthur weiter an den Rand des Erduldbaren. Als sein Comedy-Clip in der Murray Franklin Show gezeigt wird, freut sich Arthur zunächst darüber, dass sein Traum selbst Comedian zu werden greifbarer denn je zu sein scheint - doch dann wird er im nächsten Moment direkt von Murray mit Füßen getreten, als Arthur erkennt, dass Murray sich seiner nur bedient, um ihn öffentlich zur Erheiterung der Massen lächerlich zu machen. Die Wut und der blanke Hass quellen über. Verzweifelt wendet sich Arthur der vermeintlichen Vaterfigur Thomas Wayne zu, doch dessen Eiseskälte und der Schlag mit der Faust ins Gesicht ist ebenfalls vernichtend für ihn.
Als nächstes folgt die Szene mit und im Kühlschrank, doch darauf komme ich erst in ein paar Zeilen zu sprechen.
Auch seine Körpersprache befindet sich im Begriff der Metamorphose.
Anfangs kann man regelrecht das Gewicht auf Arthurs Schultern nicht nur sehen, sondern spüren - die Schultern nach vorn gezogen, Kopf gesenkt, Rücken gerundet und jeder Schritt scheint schwerfällig, so als wäre die Erdanziehungskraft in Gotham stärker als andernorts. Er ist in sich gekehrt, abgeschottet, bedrückt und sein Körper schreit seine zu tragende Last förmlich heraus.
Generell ist sein Gang eher steif, holprig, man kann ein leichtes Hinken erahnen, Zeuge dessen, was Arthur in der nahen Vergangenheit, aber auch in seiner Kindheit angetan wurde. Er ist ganz offenkundig nicht nur ein geprügelter, sondern ein regelrecht geschundener Hund.
Ja, zweifelsohne ist seine frühe Vergangenheit etwas, was ihn bis ins Erwachsenenalter geprägt hat und ihn weiterhin beeinflusst, wie könnte es auch nicht? Ich möchte hierbei gar nicht auf wahrscheinlich zutreffende Diagnosen wie z.B. PTSD oder Depression eingehen, denn solche Begriffe ändern nichts an dem Korpus und Ausmaß der Symptome und Folgen, die sein Ich so mannigfaltig prägen. Dass Missbrauch psychischer, physischer und auch sexueller Natur sowie Vernachlässigung etc. verheerende Folgen auf jeden Menschen, vor allem aber Schutzbedürftige, haben, steht vollkommen außer Frage.
Allein die bittere Ironie darin, dass seine Adoptivmutter sein pathologisches Lachen in seiner Kindheit als Glücklichsein fehlgedeutet hat, zerreißt mir schmerzvoll das Herz. Auch die Ironie darin, dass sie ihn über Jahre hinweg "Happy" ruft, ein Spitzname von dem sie glaubt, er würde ihre Liebe und Wertschätzung zu ihrem Sohn ausdrücken.
Er war bemüht die Folgen dessen auf konventionellem und sozial akzeptiertem Wege zu tilgen. Er hat sich Hilfe gesucht, nimmt Medikamente in der Hoffnung, dadurch seinen Schmerz und die fortwährend anhaltenden negativen Gedanken zu mildern. Doch das System lässt ihn im Stich. Er ist auf sich allein gestellt.
Warum fragt er in Arkham den Archivar danach, wie man in der psychiatrischen Abteilung landet? Wir erinnern uns, anfangs während seiner Therapiestunden bei den Social Services erwähnte er, dass es ihm in Arkham am besten ging (wahrscheinlich weil er dort so etwas wie Hilfe erhielt und er auf der Geschlossenen schlichtweg gegen das negative Einhämmern auf ihn durch andere Menschen, deren Handlungen und Schicksalsschläge im allgemeinen abgeschirmt und davor sicher war). Wir sehen zwar in einem kurzen Flashback, wie er seinen Kopf wiederholt gegen das Glasfenster seiner Zimmertür schlägt, aber auf autoaggressives Verhalten will ich hier erstmal nicht eingehen. Jedenfalls wird dadurch aber klar, dass er zuvor bereits in Arkham stationär untergebracht war. Warum sollte er also danach fragen, wie man es schafft dort hinzukommen?
Nun, vielleicht, da ihm seine ambulante Therapie der Social Services genommen wurde, er versucht wieder an konventionelle Hilfe zu gelangen. Oder weil er selbst merkt, dass er nicht mehr lange durchhält (zu diesem Zeitpunkt hat er den Dreifachmord bereits begangen) und zurück zur schützenden dumpfen Stille und Abschottung Arkhams zurück möchte. Oder vielleicht sogar auch, weil er es nicht noch schlimmer kommen lassen möchte, verhindern möchte, dass es dazu kommt, dass er sich und weiteren anderen das Leben nimmt. Er ist sich bewusst darüber, dass seine Gewalttaten gegenüber anderen falsch sind. Aber er weiß sich selbst nicht zu helfen, also tastet er auf diese Weise vorsichtig nach Hilfe, doch der Archivar verweist auf die gestrichenen Social Services zurück. Konventionelle Hilfe ist für Arthur nicht mehr in Sicht.
Der Schlüssel dazu Hilfe zu finden und seinen Zustand zu bessern muss also nun ein anderer sein und nachdem die letzte Faser des seidenen Fadens für Arthur gerissen ist, er Rache an seiner als fürsorgliche Mutter getarnten Peinigerin übt, findet Arthur diesen auch. Suizid.
(Der Mord an seiner Adoptivmutter ist meiner Meinung nach übrigens der einzige Mord, der aus purem Wunsch nach Abrechnen und Rache heraus motiviert war.)
Arthur hat schon seit längerem Suizidgedanken, zumindest seit dem Zeitpunkt, ab dem wir ihn begleiten. Der Witz, den seine Therapeutin der Social Services in der zweiten Szene aus seinem Notizbuch vorliest, zeugt deutlich davon. Jedoch sind Suizidgedanken und klare Suizidabsichten zwei verschiedene paar Schuhe; Gedanken sind nur Gedanken, Flucht und Suche nach Erleichterung, während Absichten in einem durchdachten und kalkulierten Plan ausgearbeitet werden können.
Der Beschluss sich das Leben zu nehmen, nachdem man jedweden Halt verloren und keine Aussicht darauf hat erneuten Halt zu finden, kann ungemein befreiend sein. Dieser neue Schlüssel verschafft Arthur eine bis dahin ungeahnte innere Freiheit, Erleichterung und Unbeschwertheit.
Seine innere Metamorphose ist bereits vollständig abgeschlossen, bevor Gary und Randall ihn daheim besuchen und noch bevor bzw. während er seine Adoptivmutter erstickt. Die fantastisch umgesetzte und dargestellte äußere Verwandlung bzw. Angleichung an sein Inneres folgt kurz darauf.
Als Joker zeigt er demzufolge eine komplett gegenteilige Gestik und auch Mimik, frei, unbeschwert, offen und expressiv. Er tanzt auf der Treppe nach dem Rhythmus und den Klängen der Musik in seinem Inneren, transportiert diese Musik von innen nach außen, lacht offen und ehrlich über für ihn als positiv empfundenen Gedanken und Gefühle. Er geht vollkommen darin auf, kann sich restlos fallen lassen. Und dieses wunderschöne Schauspiel zu beobachten hat auch mich freudig, erfüllt, glücklich fühlen lassen. Für ihn, für mich, für jeden, der einen solchen Moment der vollkommenen inneren Freiheit und Losgelöstheit jemals erleben durfte.
Direkt bevor er Randall tötet, verzerrt er seinen Körper in einer unwirklich wirkenden Pose. Bevor er in der Show die Bühne betritt, besinnt er sich seinen Körper verzerrend und dann tanzend in seine Form als Joker. Er wirft die Last ab, öffnet sich und seinen Körper.
Gehen wir nochmal einige Szenen zurück. Als Arthur den Kühlschrank ausräumt und hineinsteigt tut er dies nicht unbedingt, um sich einen Kokon zur Verpuppung zu schaffen, sondern vielmehr, um den unerträglichen Druck dieser unerträglich erdrückenden Decke aus Leere und Kälte und der schreienden metallischen Stille Gothams und seiner Einwohner auf ihn abzudämpfen. Im Hintergrund hören wir den Anruf des Polizisten - und Arthur entzieht sich, schottet sich ab, verschwindet.
Als er wieder aus dem Kühlschrank heraus tritt, hört er auf davon zu rennen, sich in Fantasien zu flüchten, sondern stellt sich den Dingen die waren und sein werden. Der Kühlschrank ist also nicht unbedingt ein Kokon der Metamorphose zu Joker, aber dennoch ein entscheidender Wendepunkt in seiner Charakterentwicklung.
Die Metamorphose findet nicht in diesem oder einem anderen Kokon außerhalb Arthurs statt, wie von anderen vermutet - er selbst ist der Kokon. Die Metamorphose wird ganz offenkundig und frei dargestellt, zuerst mit weichen, fast schon zaghaften, erforschenden, resonierenden und immer akzeptierenderen und fließenderen Bewegungen und einer befreiten, fast schon unschuldigen Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht - wie zum Beispiel während des wunderschönen
Tanzes in der öffentlichen Toilette nach seinem ersten Mord an den drei jungen Männern. Sein erster Moment der Selbstwahrnehmung, Selbsterkenntnis, Selbstakzeptanz. Er “hat
Musik in sich” und hört während seines Tanzes diese Musik tatsächlich in seinem Inneren, transportiert sie nach außen.
Arthur erfährt während bzw. direkt nach diesem ersten Dreifachmord das erste Mal in seinem Leben eine Art Kontrolle und Einfluss auf die Welt um ihn herum sowie auf sein eigenes Leben, die er vorher nie kannte. Bisher war es stets Gotham mitsamt seiner Einwohner, das sich bedrohlich und einengend über ihn aufbäumte, ihn unterdrückte, niedermachte und ignorierte. Er sagte selbst, dass er stets das Gefühl hatte nicht zu existieren - und dieses unbeschreibliche und lähmende Gefühl der Leere, Apathie, Ohnmacht und Dissoziation kann manchmal schlimmer sein als der größte akute psychische Schmerz.
Doch als er den Abzug der Waffe betätigt, befreit sich Arthur schlagartig selbst von dem dumpfen grau-trüben Dunst Gothams der bis dato seine nicht wahrgenommene Existenz darstellte. Es geht dabei nicht nur um Notwehr oder Rache oder die Dokumentation des Zerfalls der Psyche, es geht um das Erfahren des eigenen Selbst, des eigenen Potentials und die Konsequenzen der Einwirkung auf andere, das Gefühl und die Erkenntnis, doch nicht nur ein nicht wahrnehm- und beachtbarer Schatten oder Geist zu sein. Die Erkenntnis und das Bewusstwerden der eigenen Existenz. Die Befreiung von der Peinigung der Vergangenheit und Gegenwart, der Akzeptanz, der Umarmung derselben, der Auswirkungen dieser auf das eigene Selbst, das Selbst als Resultat dieser Einflüsse. Das ins-Reine-kommen mit sich und der Welt um sich herum.
Arthur fühlt sich das erste Mal in seinem Leben lebendig, erfährt sich als
jemand. Er breitet sprichwörtlich seine Flügel aus und erblickt in seinem Spiegelbild zum ersten Mal sein eigenes wahres Ich.
Davor hatte er seine wahren Gefühle immer hinter einem Lachen verborgen, doch nun beginnt er sich zu öffnen, ehrlich zu sein, seine Gedanken frei zu äußern.
Mit jedem weiteren Mord treibt er ziellos aber instinktiv diesen Prozess, diese Befreiung und Weiterentwicklung voran.
Die Morde sind für ihn Befreiung der negativen Einflüsse und Schädigungen von außen, er löst sich davon los, entledigt sich dieser, tilgt sie aus seiner Welt. "Everything must go", "Alles muss raus/weg", das Schild der zweiten Szene beschreibt dabei bereits früh auf subtile Weise, was Arthur zu tun hat, damit er sich befreien, sich entfalten, atmen, leben kann.
Als seine ehemaligen Arbeitskollegen ihn nach dem Tod seiner Adoptivmutter besuchen, sieht Arthur zuerst Randall und zeigt eine offen vorsichtige, skeptische, defensive Haltung, da auch Randall bisher zu seinem Leid via bissiger, schnippischer Kommentare mit dem Ziel Mitmenschen lächerlich zu machen, beigetragen hat. Erst als er Gary sieht, der immer nett zu ihm war (was Arthur nach dem Mord an Randall auch noch einmal zu Gary sagt), lockern und öffnen sich seine Gestik und Mimik.
Er weiß, dass Randall nur selbstsüchtige Motive im Hinterkopf hat, ist also auf der Hut, auf der Lauer, lacht hämisch über dessen bissigen und abschätzigen Kommentar Gary gegenüber. Als klar wird, dass Randall tatsächlich wieder nur seine eigenen Interessen im Sinn hat, geht Arthur auf ihn los. Nach dem erfolgreichen Tapezieren mit Randalls Blut sagt er zu Gary, dass er ruhig gehen könne, er werde ihm nichts tun. Er erschreckt ihn im Spaß, findet das zum Schießen - und stört sich nicht mehr daran, dass nur er dies witzig findet. Ihm genügt es, wenn er der einzige ist, der über seine Art Humor lachen kann. Wenn man bedenkt, wie verzweifelt sich Arthur Anfangs nach dem Lachen anderer über seinen Humor gesehnt hat, ist das eine extrem bemerkenswerte Entwicklung.
Er begeht den Mord an Randall, so wie alle anderen Morde, aber auch durchaus in dem Wissen bzw. in der Absicht, sich während seines Auftritts in der Murray Franklin Show das Leben zu nehmen - er sagt selbst, er habe nichts mehr zu verlieren und in diesem Bewusstsein räumt er konsequent auf, da er davon ausgeht eh keine Konsequenzen für seine Taten fürchten zu müssen, da sein größter geplanter Joke ist sein eigenes Hirn und Blut auf der Bühne vor laufenden Kameras zu verteilen.
Auch als er den Kopfschuss “probt”, mimt er vorher das Verhalten eines Gastes der Show im Fernsehen, um während seines eigenen Auftritts möglichst “normal” und (selbst-)sicher wirken zu können. Nach dem geprobten Schuss breitet sich ein ehrliches, befreites, inniges Lächeln der Zufriedenheit, Erleichterung und auch Vorfreude über seinem Gesicht aus. Er freut sich auf diesen Moment, auf die Pointe des schlechten Witzes, der sein Leben ist; auch in der Hoffnung, dass sein Tod auf diese Weise eben mehr Sinn machen möge als sein Leben.
Kurz vor dem eigentlichen Auftritt probt Arthur diese Szene erneut bzw. fiebert auf den Moment des geplanten Kopfschusses hin, aber das Lächeln auf seinen Lippen bleibt dieses Mal aus. Beginnt er an seinem Plan seinem Leben ein Ende zu bereiten zu zweifeln, jetzt, wo er es endlich erreicht hat sich vollkommen vogelfrei und unbeschwert zu fühlen?
Während seines tatsächlichen Auftritts in der Show, als er sein Notizbuch durchblättert und zu der entscheidenden Stelle darin kommt ("I just hope my death makes more cents than my life"; im Absatz darüber steht abschließend auch "I don't want to die with people just stepping over me. I want people to see me."), wird ihm bewusst, dass das Ziel zu sterben nicht mehr das ist, was er erreichen möchte. Stattdessen genügt es ihm vermutlich zu wissen, dass er eben jetzt bereits mehr erreicht hat, als sein Tod je würde; die Leute gehen auf die Straße und demonstrieren, er hat einen Eindruck und eine teils unumkehrbare Einwirkung auf andere Menschen gehabt, auch wenn die Art und Weise, wie es dazu kam, nie sein Plan, seine Absicht war. Dennoch kann er nicht umhin zu erkennen und auch zu genießen, dass er nicht mehr unsichtbar ist; er wird gesehen, gefeiert, als Vorbild genommen. Er ist endlich oben angekommen, aufgestiegen, hat sich befreit und verspürt nicht länger den Drang, dem ein Ende zu bereiten.
Also wendet er seinen Plan um 180 Grad und mordet erneut, mehr spontan als geplant, so wie (der abseits des Films bekannte) Joker es eben tut. Er selbst findet es witzig und scheint zunächst verwirrt bis enttäuscht darüber, dass niemand sonst derselben Meinung zu sein scheint, da die Zuschauer das Studio panisch schreiend verlassen.
Während der Randalen in Gotham sehen wir das wohl innigste ehrlich erfreute Lachen von Arthur/Joker, als er staunend aus dem Polizeiwagen heraus beobachtet, wie die Leute auf der Straße alles in Trümmer legen. Ein wundervolles Lachen, sein schönstes bisher.
Der Film endet mit einem erneuten Lachen über einen Witz, das mehr wie das anfangs pathologische, aber doch anders, klingt. Ein Hybrid aus ehrlichem, offenem Lachen und der krankhaft anmutenden Lache des Jokers, mit Musik aus Frank Sinatras “That’s Life” in seinem Kopf und auf seinen Lippen. Ein Witz, von dem er weiß, dass nur er ihn verstehen und als witzig empfinden würde.
Vielleicht die Freude daran, dass er seinem einst geglaubten Bruder Bruce den kaltherzigen Vater genommen hat, den er selbst nie hatte. Daran, dass er das Blatt gewendet hat - "some people get their kicks stomping on a dream" und nun ist er es, der Träume anderer mit Füßen tritt.
Oder vielleicht einfach nur der Galgenhumor und die Ironie des Lebens, denn immerhin hat seine Befreiung, sein Erreichen des Ziels Anerkennung zu finden jemand anderem extremes Leid bereitet. Egal was passiert, es ist keine Tragödie, sondern eine bizarre und makabere Komödie, über die man nicht anders kann als zu lachen.
Oder er hat sich das alles nur ausgedacht und seiner Therapeutin als Antwort gegeben, darauf was er erlebt hat, was passiert ist, warum er in Arkham ist?
Oder ist es viele Jahre später und Batman hat ihn nach Arkham verfrachtet, Joker erinnert sich an das Geschehene zurück und erkennt dabei, dass letztlich er dafür verantwortlich ist, dass aus Bruce Batman wurde?
Wir wissen es nicht und der Film gibt uns keine Antworten.
Perfektion.
Was repräsentiert Joker also für Arthur, für uns? Nun, Arthur ist Joker, Joker ist Arthur. Er repräsentiert nicht irgendeinen Bösewicht, nicht den Zielpunkt einer Reise, nicht den Schmetterling, der vorher eine Raupe war, keinen Verrückten, keinen Unzurechnungsfähigen, nichts davon.
Joker hat immer existiert, war immer da, kam nur zum Vorschein. Er ist geballter, heiß glühender, schwelender Schmerz, unerträgliches Leid. Aber vor allem Befreiung, Selbsthilfe, Selbstakzeptanz, Überlebensmechanismus, vollkommene Selbstakzeptanz, Selbstkreation. Der Phönix aus der Asche. Offenheit, Ehrlichkeit, Sorglosigkeit, Rücksichtslosigkeit, Eskalation, Kaltblütigkeit. Die Konfrontation, die Konsequenz. Der Feuersturm.
Er ist das, was Arthur brauchte und schon immer verwendet hat, um nicht komplett zu zerfallen, dem wirklichen Irrsinn zu verfallen, sich dem Tod hinzugeben. Er ist das, was Arthur brauchte und was ihm von außen verweigert wurde. Der letzte Strohhalm, der Schlüssel zur Freiheit. Die Tragödie, Komödie, Ironie. Der Witz. Die Pointe.
Generell geht es in dem Film nicht um die eh außer Frage stehenden Fragwürdigkeit oder Verwerflichkeit von Selbstjustiz, Gewaltverherrlichung oder dergleichen (jeder, der den Film damit abspeist und abwehrt hat meiner Meinung nach die Kunst und Geschichte in und hinter diesem Film schlichtweg nicht begriffen - oder hat schlichtweg die Existenz anderer extremerer Filme vergessen - und jeden, der den Film ohne ihn gesehen zu haben kritisiert kann ich bei aller Liebe nicht ernst nehmen) - der Film ist eine Hommage an das Selbsterfahren, des Fürsicheinstehens, der Selbstakzeptanz und der Umarmung all dessen, was dies beinhält - Vergangenheit wie Gegenwart, endogene wie exogene Faktoren, die das eigene Selbst form(t)en.
Dass Arthur dabei bzw. bis dahin (trotz aufrichtiger Bemühung seinerseits es nicht so weit kommen zu lassen sondern auf regulärem Wege seinen Platz in der Welt zu finden) so weit getrieben wurde, dass er sich als Joker selbst neu erfindet und annimmt, ist zwar ein wesentlicher Bestandteil dieser wundervollen und überaus komplexen Charakterstudie des Arthur Fleck, hat und wird aber keinerlei merklichen oder nachhaltigen Einfluss auf das Leben in unserer tatsächlichen Gesellschaft haben - zumindest nicht in dem Ausmaß, wie manche Medienschreier, Social-Media-Hysteriker oder Aktivisten, die im Namen der Toleranz andere unterdrücken, es befürchten oder unbedacht in die Welt hinaus posaunen.
Wenn Joker es allerdings schafft, dass auch nur einige der Zuschauer ihr Selbst und ihre eigenen alltäglichen Handlungen und Verhaltensweisen gegenüber ihren Mitmenschen hinterfragen und es generell bewerkstelligt etwas mehr Verständnis für- und Rücksicht aufeinander zu schaffen, so hat der Film meiner Meinung nach Großes geleistet. Auch, wenn die Arthur Flecks unter uns sich selbst und ihre Vergangenheit, ihre vermeintlichen Fehler etc. ein wenig mehr akzeptieren und umarmen können.
Niemand von uns trägt offen heraus was er alles in seinem Leben gesehen, gefühlt, erlebt hat, doch jeder von uns hat seine eigene Last zu tragen, egal wo man im Leben herkommt, wo man steht oder wo man hingeht.
Auch wenn wir Menschen wahrscheinlich dazu verdammt sind, uns auf ewig gegenseitig zu verletzen und innerlich doch immer einsam zu bleiben, egal was wir tun oder wie sehr wir dagegen anzuwirken versuchen.
Jeder, der den Film als “gewaltverherrlichend”, “noch eine Story über einen Serienkiller, der als Kind missbraucht wurde”, oder “Glorifizierung von Verrückten” darzustellen oder abzutun versucht, verkennt das Wunderschöne und Tragische an ihm und sollte entweder an seinem Empathievermögen arbeiten oder sich wieder leichter verdaulichen, oberflächlicher Medienpampe zuwenden.
Oder anders gesagt… freue ich mich für diejenigen, die nie so tief gesunken sind oder niedergedrückt wurden, sodass sie Arthur Fleck alias Joker als porträtierte Person auch nur ansatzweise verstehen und seine Emotionen sowie Beweggründe nachvollziehen können.
Den Reaktionen und Reviews zufolge ist die Nummer derjenigen, die sich zumindest ein Stück weit mit Arthur/Joker identifizieren können bzw. sich darin wiederfinden, größer, als einem lieb sein kann und ist somit ein trauriges Zeugnis darüber, dass Anonymität, zwischenmenschliche Kälte und Nihilismus wohl zu einem Grundpfeiler der modernen globalen Gesellschaft mutiert sind.
Der Film hat mehr als nur einen Nerv getroffen und ich gönne ihm jedes bisschen Erfolg, Zuspruch und Applaus, den er dafür erntet. Den Menschen, die an der Kreation des Films beteiligt waren, sowieso.
Der Film an sich hat per se kein Ziel, keine “Moral von der Geschicht’”. Genauso wenig, wie der Joker je ein Ziel hat oder verfolgt. Es ist einfach nur ein Einblick in das Leben des Arthur Fleck aus dessen Sichtweise - und wie er zu Joker wurde. Nicht mehr und nicht weniger.
Kunst muss nicht immer Sinn machen oder ein höheres Ziel verfolgen.
Joker zwingt einen aber erbarmungslos dazu mitzuleiden, sich unwohl zu fühlen, sich am liebsten abwenden zu wollen, sich gezwungenermaßen dem zu stellen, was man selbst tagtäglich von sich schiebt oder willentlich übersieht - und das macht den Film umso wundervoller. Der Film hält uns einen erbarmungslosen Spiegel vor das eigene Gesicht.
Was man darin sehen möchte oder daraus für sich mitnimmt, muss jeder selbst mit sich selbst ausmachen. Und das ist das vielleicht Großartigste an dem Film: jeder wird ein Eckchen anders über ihn denken und fühlen, da jeder von uns ein wenig anders gelebt, gelitten, gefühlt und gehandelt hat. Und deswegen sollte ihn jeder mal gesehen haben, denn er sagt einem viel über einen selbst, solange man sich dem gegenüber öffnet.
Joker ist eine Hommage an die Ironie des menschlichen Daseins in seinen dunkelsten aber auch buntesten Farben. “That’s life”.
P.S.: Weiterführende Gedanken meinerseits zu dem Film gibt's
hier.